Über die Kooperationspartnerschaft
Durchführende Einrichtungen:
Universität zu Köln
Institut für Deutsche Sprache und Literatur II
Prof. Dr. Michael Staiger und Dr. Anne Krichel
AG ‚Literatur – Bild – Medium‘
Technische Hochschule Köln
Cologne Game Lab
Dr. Philipp Bojahr und Fee Bonny
Externe Teammitglieder:
Miriam Hauke (Drehbuch), Daniel Turner und Falk Fabri (Programming), Hossam Tarek Abdallah (Game Art)
Das Forschungsprojekt wurde von der RheinEnergie-Stiftung (Jugend, Beruf, Wissenschaft) im Rahmen des Programms „Gesellschaft und digitale Transformation 2020“ vom 01.01.2021 bis 30.12. 2023 gefördert.
https://www.rheinenergiestiftung.de/projekt/3958/universitaet-zu-koeln–technische-hochschule-koeln
Didaktische Motivation der Forschungskooperation
Die didaktische Motivation der Forschungskooperation basiert auf der kritischen Reflexion der tradierten ‚Roten Faden‘-Methodik, nach welcher sich eine ‚gute Geschichte‘ durch die Aristotelische Einheit von Ort, Zeit und Handlung sowie die Einhaltung des 3-Akt-Schemas auszeichnet: In der Einleitung werden alle W-Fragen beantwortet und im Hauptteil kommt es zu einem Problem, das am Ende aufgelöst wird und keine Fragen mehr offenlässt. Dabei verfolgt die Geschichte einer chronologischen Ordnung und wird aus der Perspektive einer spezifischen Figur erzählt.
Zum erzähldidaktischen App-Konzept
„Noli – auf der Suche durch die Zeit“ ist ein Point and Click Adventure für Kinder zwischen 8 und 10 Jahren mit einer Spieldauer von etwa 20 Minuten. Das Spiel hat ein offenes Ende und macht die Geschichte der Hauptfigur Noli erfahrbar und erweiterbar. Noli ist grade 10 Jahre alt geworden und besucht wie jeden Mittwoch ihre/seine Oma. Was die spielenden Kinder zu Beginn der Story vorfinden ist eine verlassene Küche mit einem mysteriösen Nebenraum, in dem sich eine Zeitmaschine befindet. Diese kann Noli nur in Kooperation mit dem Hund Bobby aktivieren. Innerhalb der insgesamt drei Level reist Noli – über die Eingangsebene der Gegenwart hinaus – in die Wohnung der Vergangenheit und der Zukunft; stets mit dem Ziel, die verschwundene Oma zu finden.
Neben der mehrdimensionalen Zeitkonstruktion spielen Perspektivwechsel eine zentrale Rolle für die Story und die Bewältigung des Spiels. So muss man (mithilfe der Figuren-Buttons in der oberen rechten Ecke des Bildschirms) an gegebenen Knotenpunkten innerhalb des Spielverlaufs zwischen der Rolle des Hundes und der des Schulkindes hin- und herwechseln, um die erforderlichen Aufgaben zu erfüllen. Beide Figuren haben unterschiedliche Sichtweisen und Fähigkeiten, die sich gegenseitig ergänzen, um die verschiedenen Rätsel zu lösen.
Didaktische Legitimierung des Forschungsprojekts
Um offen zu legen, dass nonlineare Strukturen längst zum Inventar kinder- und jugendliterarischer Erzählungen gehören, wurde zum einen eine Theorie der narrativen Nonlinearität aufgestellt, die narratologische Erkenntnisse aus den Gamestudies, der Erzähltheorie, der Bilderbuch- und Comic- sowie den Medien- und Filmwissenschaften miteinander verzahnt und kategorisiert. Auf der Basis einer medienübergreifenden Literaturrecherche wurden in diesem Kontext verschiedene Formen der temporalen, perspektivischen und metafiktionalen Nonlinearität herausgestellt und exemplarisch illustriert. Aus den verschiedenen Kategorien und Dimensionen nonlinearen Erzählens wurden ferner die jeweiligen Ansprüche an die Rezeptions- und Erzählkompetenz der Kinder und Jugendlichen abgeleitet.
Um in einem zweiten Schritt zu überprüfen, ob und inwiefern Kinder ab der Primarstufe in der Lage sind, achronologische und multiperspektivische Erzählstrukturen nachzuvollziehen, erfolgte im Sommer 2022 eine quantitative Rezeptionsstudie mit über 300 Probandinnen und Probanden aus drei Schulen im Rhein Sieg Kreis. Die Auswertung der 24 Single-Choice-Fragen zu zeitstrukturellen Aspekten und perspektivischen Gestaltungsmitteln in einem Kurzfilm und ausgewählten Videospiel-Ausschnitten belegen, dass Kinder bereits ab einem Alter von sieben Jahren über entsprechende Rezeptionskompetenzen verfügen und bei der Einordung zeitlicher Sequenzen sogar mehrheitlich zwischen story- und plot differenzieren können. Mit den Ergebnissen dieser Studie, die im Frühjahr 2023 in einer Ausgabe der Online-Zeitschrift ‚MiDU- Medien im Deutschunterricht‘ veröffentlicht wird, soll das Fundament für eine Didaktik des nonlinearen Erzählens gelegt werden.
Aus den ermittelten Ansprüchen an die Rezeptions- und Erzählkompetenz der Kinder wurde drittens die Storytelling-App‚ ‘Noli – Auf der Suche durch die Zeit‘ entworfen, mit deren Hilfe Schülerinnen und Schüler ab der 3. Klasse mit der Chronologie und Perspektivik des Geschichtenerzählens experimentieren können.
In den verschiedenen Zeiten werden die technischen Funktionen des iPads voll ausgeschöpft: Die spielenden Kinder müssen dieses zum Beispiel schütteln, um den Hund Bobby springen zu lassen. Bobby kann somit für Noli eine Tür aufstoßen. Oder die Kinder müssen laut sein, damit der Drachenhund aus der Vergangenheit Feuer spuckt. Auf diese Weise dienen die technischen Features unmittelbar der Narrationskonstruktion und begünstigen ein ästhetisches und immersives Erleben der Story. Zudem ist das Spiel vertont und untertitelt.
Neben der Rezeption der Spiel-Story, die zeitlich mehrdimensionales und multiperspektivisches Erzählen erfahrbar macht, spielen aus erzähldidaktischer Sicht die eigens zur App entworfenen Anschlusshandlungen eine zentrale Rolle des Konzepts. So wurden mithilfe des Bildmaterials aus dem Noli-Spiel und auf der Grundlage des begrenzten Figuren- und Settinginventars zahlreiche Impulse für das kreative Geschichtenerzählen mit dem ‚Book Creator‘ konzipiert, die zum multimodalen Weiter- oder Neuerzählen der erlebten Story anregen. Dabei werden die verschiedenen Zeitebenen und Perspektiven so miteinander kombiniert, dass die digitalen Textprodukte der Grundschüler und Grundschülerinnen eine achronologische und/oder multiperspektivische Struktur annehmen. Im Gegensatz zur Spiel-Story handelt es sich dabei jedoch um ein gezieltes Aufbrechen der konventionellen Linearität, indem analeptische, proleptische und elliptische Erzählverfahren angewendet oder unmarkierte Perspektivwechsel mithilfe direkter Figurenrede realisiert werden. Um auch einen Transfer der innerhalb der App-Story auftretenden Figuren in andere Zeiten zu ermöglichen, werden neben Screenshots aus dem Spiel digitale Sticker der Hauptfiguren in unterschiedlichen Jahrgängen zur Verfügung gestellt.